Alte Wohnsitze

Ivan Blatný

Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier
Zweisprachige Ausgabe

Fast vierzig Jahre galt der Dichter Ivan Blatný in der tschechischen Öffentlichkeit als verschollen. Nach der kommunistischen Machtübernahme in der Tschechoslowakei (1948) kehrte er von einem Stipendienaufenthalt in England nicht mehr zurück und lebte dort, aus Angst vor Verfolgung, vereinsamt in einer Nervenheilanstalt. Nur der Aufmerksamkeit einer Krankenschwester ist es zu danken, dass nicht alle seiner in der Anstalt verfassten Gedichte im Mülleimer verschwanden, sondern zwei bedeutende Sammlungen – »Stará bydlište« (Alte Wohnsitze) und »Pomocná škola Bixley« (Hilfsschule Bixley) – im tschechischen Exilverlag Sixty-eight-Publishers in Toronto erscheinen konnten. Als sein Werk nach 1989 auch in der Tschechoslowakei neu entdeckt wurde, kam dies einer literarischen Sensation gleich.

In den Gedichten aus »Alte Wohnsitze« schlägt der in England gestrandete Blatný einen Bogen zwischen seinem Leben in der Nervenheilanstalt und dem der frühen Jahre, zwischen seinen neuen und alten Wohnsitzen, den englischen Stadtlandschaften und der Umgebung Brünns: ein subtiles Porträt des Dichters auf der Suche nach der gegenwärtigen Zeit zwischen Klinik und Gedächtnis. Die Nostalgie, Trauer und das Heimweh dessen, dem als letzter Zufluchtsort nur die Sprache blieb, spiegelt sich in den zerbrechlichen Bildern, zugleich aber belegen die Gedichte die Unversehrtheit, Kontinuität und vor allem Authentizität eines inneren Lebens, das in all seinen bedeutenden Momenten erhalten bleibt.

DIE ZIGARETTE
Für Klement Bochořák

Ist die Arbeit getan und man zündet sich eine Zigarette an,
durchzieht ein erleichterndes leichtes Lachen die Glieder.
Ein erleichterndes leichtes Lachen, und vom Raucher erhält die Welt
das Bekenntnis guter Minuten, eines guten Schicksals geschenkt.

Gesumme von Bahnhöfen und Telegrafendrähten,
schick mich noch einmal dorthin, wo Halas zu rauchen pflegte,
schick Grüße von mir nach Kunštát zu den Březinas,
auf den flachen Annaberg, nicht weit weg davon, ganz nah.

Ich hauchte den blauen Rauch aus und der blaue Rauch zieht
in euer Pisárky. Ich glaube im Wald zu sein
und kehre mit der Brünner Tramway wieder heim.

Wir fahren in die Remise und vorbei am Messegelände,
wo hinten hinter dem Turm ein Fußballplatz ist,
wir fahren zum Friedhof und Mädchen winken.


Ivan Blatný, »Alte Wohnsitze«. Gedichte
Deutsche Erstausgabe. Zweisprachige Ausgabe
Aus dem Tschechischen von Christa Rothmeier
192 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
€ 22,20 inkl. MwSt
ISBN 978-3-902113-36-8
Erschienen im März 2005


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