Gedichte
E. A. Richters neue Gedichte richten sich an Lois, an das neugeborene und heranwachsende Enkelkind. Da der Kontakt mit dem Baby allerdings sehr eingeschränkt ist, eröffnet das Schreiben von imaginierten Szenen mit dem Abwesenden, von Spiel- und Spielzeuggedichten die Möglichkeit einer intensiven Annäherung aus der Ferne. In dieser Spannung tauchen auch Figuren und Räume aus entschwundenen Zeiten auf, traumhaft, märchenartig aber auch ganz real: die Obstbäume, der Vater in seiner Werkstatt, der Duft der Mutter, die durch den Hof schießenden Schwalben – als würde die Erinnerung an die Kindheit des Schreibenden mit der Zeit wiederkehren können. Und gerade im Pendeln zwischen Lois und den eigenen ersten Jahren im Elternhaus gewinnen beide Welten an Kontur und Schärfe.
»Wuchtig, eloquent, präzise und voll sprachlicher Schönheit.« Martin Kubaczeks Beschreibung von E. A. Richters Lyrik gilt auch für diesen Band, wo den Rauflächen und Sehnsuchtsphantasien zwischen Zuwendung, Entzug und Verlust schonungslos nachgegangen wird.
Ich fand Fleisch im Garten,
fand Fleisch im Hof, Fleisch
im Bett. Ich hörte ein heftiges Stück.
Ich hatte die Sätze abgeschrieben,
sie sollten so einfach sein,
dass sie auch ein Kleinkind versteht.Ich fand nur einen Stein, ein Blatt,
ein Gesicht, warf alles ins Bett,
rammte das Bett, es fiel um.
Ich hörte ein heftiges Stück,
hatte die Sätze auswendig gelernt,
flüsterte sie ihm immer wieder
ins Ohr, völlig unklar, was er verstand.Er aß noch kein Fleisch, lutschte
mit Lust am Daumen, am Stein, am Blatt,
am Gesicht. Die Frauen, die näher kamen,
aus dem Garten, dem Hof, dem Bett,
gaben ihm alle die Brust, ihre Lehre
fürs Leben, verbunden mit Wörtern
für ein neues Wortfindungsprogramm
E. A. Richter, »An Lois«. Gedichte
Originalausgabe
112 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
€ 18,– inkl. MwSt
ISBN 978-3-902951-42-7
Erschienen im Mai 2019