Das Maß aller Dinge

Als der Sohn verständigt wird, dass sein Vater ins Spital eingeliefert wurde, reist er – um dessen Leben bangend – umgehend hin, um mit ihm erstmals über all das zu sprechen, worüber sie nie gesprochen hatten: über die fehlende Präsenz des Vaters in seiner Kindheit und Jugend sowie über eine spontane, aber missratene Faustattacke des Sohns auf den Vater – sonntags in der Küche.

Da der Sohn aber zur späten Stunde nicht mehr ins Spital eingelassen wird, beginnt er einen Monolog an den abwesenden Vater. Den Erinnerungen folgend und zugleich über sich und seine ihm selbst unverständliche spontane Gewaltattacke nachdenkend, zeichnet er ein berührendes Doppelporträt zweier Menschen, die innerhalb der Familie aneinander vorbeileben, weil sie kaum gemeinsame Bedürfnisse und Interessen haben, aber dennoch Familie sind.

Natürlich hat niemand davon erfahren. Niemand brauchte zu wissen, was ich selbst nicht verstand. Ich wusste schließlich nicht, was sich da abgespielt hat. Ich wusste nur, dass es nichts nützen würde, darüber zu sprechen. Weil mir das Reden wie ein Anfang vorkam. Wie ein neues Problem. Also habe ich geschwiegen. Und zugeschlagen. Ich habe die Scheibe eingeschlagen. Vielleicht auch, weil es nichts geholfen hätte, dir ins Gesicht zu schlagen. Weil nichts hilft. Also ist es besser, die Scheibe zu treffen. Und ich habe die Scheibe getroffen. Ich habe die Scheibe getroffen und ein Becken unter den Arm gehalten. Im Taxi. Weil der Druckverband die Blutung nicht stillen konnte.


Armin Senser, »Das Maß aller Dinge«
Originalausgabe
ca. 120 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ca. € 24,– inkl. MwSt
ISBN 978-3-902951-85-4
Erscheint im Januar 2026


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