Eines Tages

Tatjana Gromača

Kurzroman
Aus dem Kroatischen von Fabjan Hafner

»Der Krieg hat mir die schönsten Jahre des Lebens kaputt gemacht und zugleich geholfen, schneller zu lernen, wer ich selbst bin.« Was Tatjana Gromača in einem Interview über sich selbst sagt, trifft auch ins Zentrum ihres gefeierten Roman-Debüts »Eines Tages«. In 138 Kurzkapiteln begleiten wir die Heldin von der Kindheit auf dem Land bis zur jungen, erwachsenen Frau in der Stadt. Dabei schauen wir durch ihre Augen auf die Welt und wachsen mit ihr mit.

Der naive, aber unverstellt scharfe Kinderblick fasst den Alltag der Familie und des Dorfes in präzise, poetische Bilder, in welchen sich die Sehnsüchte der Heldin, die kurzen Momente des Glücks wie auch der geisttötende Charakter ihrer autoritären Umgebung spiegeln. Erst mit dem in der Ferne ausbrechenden Krieg, der das Dorf spaltet und ihre serbisch-­kroatische Familie auseinanderreißt, erfolgt eine rasche Reifung vom Mädchen zur Schülerin, Geliebten, Studentin und führt die junge Frau in die Stadt. Hier werden die Absurditäten der Erwachsenenwelt nun bewusst wahrgenommen, Bürokratie, politische und nationale Dummheiten reflektiert und wo möglich Widerstand geleistet, während die eigene Haltlosigkeit in der Gesellschaft und die Flucht in ein exzessives Studentenleben sie zunehmend an den Rand der Gesellschaft drängen.

Schonungslos, aber mit Humor und Sympathie für ihre Figuren, erzählt Gromača in einfacher, kristalliner Sprache von der abhanden gekommenen Zärtlichkeit und der Sehnsucht nach ihr.

»Tatjana Gromača nimmt die Wirklichkeit detailgenau in den Blick, fasst mit knappen Sätzen nach den Rätseln des Alltags und verwandelt diese wie nebenbei in Poesie. In einem nach wie vor ideologisierten Umfeld gleicht ihre Pathosabstinenz einer kleinen Sensation. Gromača ist die unbeirrteste Stimme der jungen kroatischen Literatur.« Ilma Rakusa

4.
Hier und da ließen die Fabrikarbeiter auch etwas mitgehen. Manchmal wickelten sie Draht um ihren Körper, von der Hüfte aufwärts bis zu den Achseln. Darüber zogen sie Wintermäntel oder Jacken an. Sie gingen an der Pförtnerloge vorbei, in der der Sicherheitsbeamte saß, der nichts mitbekam. Die Fabrikarbeiter ließen den Draht nicht mitgehen, weil sie nicht genug Geld gehabt hätten, um ihn zu kaufen, sondern weil sie sich wenigstens für ein paar Augenblicke besser fühlen wollten als sonst.

5.
Mama hatte ein Kästchen voller Halsketten. Sie trug sie nur selten. Meistens lagen sie zu kleinen runden Nestern zusammengerollt da als Beweis, dass sie früher, als junges Mädchen, ein anderes Leben gehabt hatte. In jenem Leben hatte Mama die Halsketten aus dem Kästchen genommen, sie um den Hals gelegt und sich im Spiegel betrachtet. Jetzt versteckte sie sie, wie die Arbeiter den Draht. Nur selten erlaubte sie mir, eine um den Hals zu legen. Wenn Vater von der Arbeit zurückkehrte, musste ich sie schnell abnehmen und schleunigst ins Zimmer zurückbringen, wo sie wieder zusammengerollt unter dem Deckel des Kästchens lagen.


Tatjana Gromača, »Eines Tages«. Kurzroman
Deutsche Erstausgabe
Aus dem Kroatischen von Fabjan Hafner
160 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
€ 21,– inkl. MwSt
ISBN 978-3-902113-96-2
Erschienen im April 2014


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