Hauser-Material und andere Prosa
Nummeriert und vom Autor signiert
Mit Fotografien von Ute Döring
In Prosatexten von hintergründiger Dichte legt Kurt Drawert den Blick frei auf die Beschädigung des Individuums durch die Gewalt sozialer Systeme. Den Phrasen bis zu dem Punkt nachgehend, wo sie verkörpert sind, diagnostiziert er die Krankheit der Welt als die Krankheit ihrer Texte. Literarisch anspielungsreich und in luziden gedanklichen Verknüpfungen erzählt er die Geschichte des Körpers als die eines Fremdkörpers, legt Brüche der Identität und der Erinnerung offen. In seinem Hauser-Material – in diesem Band erstveröffentlicht – bedient sich Drawert der Figur Kaspar Hauser als einer Metapher für das ausgegrenzte Irrationale, das mit der Auflösung der antipodischen Gesellschaftssysteme von Ost und West in die aufgeklärte Welt einbricht.
Wir liebten diese Welt unter der Erde. Jeder war hingerissen von der Nutzlosigkeit seiner Arbeit, die Maschinen stießen den Staub in die Luft, daß es eine Freude war, Zeuge zu sein, das ganze Jahrhundert betreffend. Ja, wir waren der Zukunft zugewandte Leute, an was auch sonst sollten wir uns halten. Die Luft war angenehm abgestanden, der Raum annähernd dunkel. Es war gut für alle, die hin und wieder die Augen verschließen und kurzzeitig einschlafen wollten. Nicht lange, fünf Sekunden vielleicht, und auch ich war oft noch einmal weggenickt, morgens. Es gab viel freie Zeit, für die meisten. Die Steine hatten nur auf ein Fließband gelegt, und das Fließband hatte nur an- und ausgestellt zu werden, und das war schon der ganze, einfache Tag. Die Steine indessen hatten sich immer in Bewegung befunden, in Arbeit, sie waren die wirklichen Helden, nicht wir, wie gelegentlich behauptet wurde. Verkanteten sich die Blöcke in der Trommel, was hauptsächlich passierte, wenn einer wollte, daß es passiert, da er besonders müde war und der Ruhe bedurfte, kam es zum Stau. Aber auch die anderen schliefen fest ein in diesen Momenten, was sehr solidarisch aussah, ein Bild voller Frieden und Eintracht, wie eine Herde schlafender Schafe.
Kurt Drawert, »Nacht. Fabriken«
Hauser-Material und andere Prosa
Mit Fotografien von Ute Döring
160 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
Limitierte, nummerierte und signierte Auflage von 500 Exemplaren
€ 20,– inkl. MwSt
ISBN 978-3-902113-02-3
Erschienen im Januar 2001