Die Nachricht vom Tod der Mutter kommt per E-Mail. Allerdings kommt sie nicht unerwartet, da die Mutter schon länger krank war, aber trotzdem ist es eine Nachricht, die alles auf einmal verändert, die Mutter lebt nicht mehr, nur noch in der Erinnerung ist sie da. In seinem neuen Buch »Requiem« geht Armin Senser diesen Erinnerungsspuren nach: dem einfachen, unspektakulären Leben seiner Mutter, die 1940 als Kriegskind aus Deutschland in die Schweiz kam, später Arbeit fand, heiratete und blieb. Immer wieder tauchen auch ungeklärte Fragen auf: Warum kennt er nur vier der neun Geschwister der Mutter? Woher kamen die vielen Tränen in ihrem Gesicht? War die Mutter glücklich oder zumindest manchmal zufrieden? Und warum weiß er so vieles aus ihrem Leben nicht, wieso wurde nie danach gefragt?
Begleitet wird diese Auseinandersetzung von einem zweiten Erzählstrang, dem Nachdenken über den Tod, das Leid, die Trauer, das Ausbleiben von Trauer und das Erinnern.
Amin Sensers »Requiem« ist ein unsentimentales Erinnerungsbuch an eine unauffällige Frau: die Mutter, die schon immer da war, und die man trotzdem so wenig kannte.
Die Bände »Sensus« (Chronik des Scheiterns, 2016), »Der ich bin« (Chronik des Vergessens, 2018) und »Requiem« (2020) bilden zusammen eine autobiographische Trilogie.
Du schreibst: Mutter gestorben. Du schreibst das auf. Du schreibst das in deine Agenda. Links unten. In diese kleine Spalte. Die für jeden Tag zur Verfügung steht. Auch für den 14. Oktober. Für ihren Todestag gibt es eine Spalte. Ihr Todestag ist ein Samstag. Du hast es geschrieben. Das war das Erste. Was du getan hast. Du hast geschrieben: Mutter gestorben. Du hast ihren Todestag notiert. Ohne etwas Bestimmtes zu fühlen. Ohne Tränen zu vergießen. Ohne in Panik zu geraten. Nichts. Du bist bloß weiter am Tisch sitzen geblieben. An diesem Samstag. Am Morgen. Um halb acht. Im Herbst. Als du die Nachricht gelesen hast.
Armin Senser, »Requiem«
Originalausgabe
ca. 100 Seiten, Hardcover, Fadenheftung, mit Schutzumschlag und Lesebändchen
ca. € 20,– inkl. MwSt
ISBN 978-3-902951-53-3
Erscheint im Dezember 2022